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Unter meiner Haut - Samiullahs Geschichte

 "Meine Flucht aus Afghanistan  - Quaraishi Samiullah

 
Am letzten Tag im Juli 2015 um 3 Uhr nachts kam ein LKW mit Plane. Als ich einstieg sagte mir ein Mann, dass ich während der Reise Ajmal heißen würde. Der LKW fuhr in der gleichen Nacht los.
Am Morgen hielten wir an und fuhren erst in der Nacht wieder weiter. Am 01. August 2015 überquerten wir die Grenze von Afghanistan zum Iran. In der nächsten Nacht stiegen wir in einen anderen LKW um und fuhren zwischen zwei Bergen hindurch. Wir waren mit 10 Personen in dem LKW. Auch dieser LKW fuhr nur in der Nacht. Am Morgen stoppte er und wir warteten in einer Art Lagerhalle bis zum Abend, bis wir dann weiterfuhren. In der Lagerhalle waren mehr als 100 Menschen. Sie kamen aus dem Iran, Afghanistan, Pakistan und Bangladesch. Alle warteten auf ihre Schlepper. Ich war hungrig und durstig, weil ich seit drei Tagen nichts mehr gegessen hatte. Ich fragte einen anderen Afghanen, wann wir etwas zu essen bekommen würden. Er sagte, in ein bis zwei Stunden. In der Lagerhalle schliefen alle Menschen auf der Erde. Es gab keine Decken oder Matratzen. Als Toilette für alle diente ein Loch in einer Ecke, das nur durch einen Vorhang vom Rest des Raumes getrennt war. Nach zwei Stunden kam ein Mann herein und brachte ein halbes Fladenbrot zusammen mit einer kleinen Flasche Wasser. Ich fragte einen Mann, ob dieses
Essen nur für heute Abend oder ob es auch für den nächsten Morgen bestimmt war. Er antwortete, dass dieses Essen für die nächsten 48 Stunden reichen müsse. Trotzdem aß und trank ich alles komplett, weil ich seit drei Tagen nichts gegessen hatte.
Ich fragte einen anderen Afghanen, wie lange er schon an diesem Ort sei und er erzählte, dass er bereits seit 20 Tagen auf seinen Schlepper wartete. Nachdem ich das hörte, überfielen mich Angst und Stress, weil ich befürchtete, auch so lange warten und an diesem Ort ausharren zu müssen.
Doch am nächsten Tag, etwa gegen 15 Uhr, kam ein Mann und fragte: „Wer ist Ajmal?“ Ich meldete mich. Er sagte, ich solle mitkommen. Ich ging mit ihm mit.
Er gab mir ein neues, sauberes T-Shirt und sagte mir, ich solle mein Gesicht waschen. Er war Taxifahrer und fuhr mich mit seinem Taxi zu einem Park, wo ich dann ca. 10 Minuten wartete. Nach 10 Minuten kam ein Minibus und der Fahrer rief dreimal: „Ajmal, Ajmal, Ajmal!“ Ich stieg ein. In dem Bus befanden sich bereits 30 Menschen. Der Bus startete und wir fuhren ungefähr zwei Stunden. Wir kamen in ein Gebiet, in dem sich ausschließlich Fabriken befanden. Dort stiegen wir in einen anderen LKW um. Wir mussten auf der Ladefläche sitzen und die LKW-Plane war direkt über unseren Köpfen gespannt. Wir fuhren los. Es war sehr heiß und wir hatten kein Wasser. Nach drei Stunden gab es eine kleine Flasche Wasser, die wir uns zu zweit teilen mussten. Dieser LKW fuhr bis ungefähr 5 Uhr morgens und stoppte dann. Wir stiegen aus, mussten uns auf die Erde setzen und warten. Nach ca. 30 Minuten kam wieder ein Mann und rief: „Ajmal, Ajmal, Ajmal!“ Ich ging mit ihm. Wir kamen zu seinem Auto und stiegen ein. Nachdem wir losgefahren waren, sagte er mir, dass er ein Polizist sei. Ich war total geschockt und bekam Angst, weil ich dachte, er würde mich festnehmen. Aber er sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, weil ich jetzt in Rumia bin. Nach ca. 30 Minuten Fahrt kamen wir zu einem Haus, in dem ich eine Frau antraf. Der Fahrer fuhr wieder weg. Die Frau brachte mir etwas zu Essen und sagte mir, ich könne mich hier ausruhen bis jemand kommt, um mich wieder abzuholen. Ich wartete, bis um 16 Uhr ein Mann kam, mit dem ich mitgehen sollte.
Wir gingen ca. 5 Minuten zu Fuß zu einem LKW mit flach gespannter Plane, in dem sich bereits 15 Menschen befanden. Wir starteten und fuhren durchs Gebirge. Am Abend, als es sehr dunkel war, stoppte der LKW. Dort wo er hielt, befanden sich schon neun Personen, von denen drei Schlepper waren. Wir waren jetzt 21 Flüchtlinge.
Die Schlepper gaben uns Instruktionen und sagten, dass wir ihre Befehle und Anweisungen auf jeden Fall befolgen müssten. Sie erschienen sehr gefährlich, weil sie viele Waffen bei sich trugen.
Dann mussten wir uns hintereinander in einer Reihe aufstellen. Ein Schlepper war vorne, einer in der Mitte und einer der Letzte in der Reihe. Der erste gab den Befehl zu rennen und wir rannten alle zusammen los. Nach ungefähr fünf Minuten gaben sie den Befehl zu stoppen und uns hinzusetzen. Es wurde nachgezählt wie viele wir sind.
Wir starteten den Aufstieg auf den Berg bis ungefähr 5 Uhr morgens. Dann kamen uns von oben fünf Männer mit Waffen entgegen und nahmen uns unsere Wertsachen, wie z.B. Handys und Geld, ab. Wir wanderten weiter und kamen gegen 8 Uhr an einen weiteren Ort, an dem bereits ungefähr 300 andere Flüchtlinge warteten. Die Schlepper erzählten uns, dass wir bis zum Abend dort warten müssen. Jede Person aus unserer Gruppe bekam ein Fladenbrot und ein paar Datteln.
In unserer Gruppe gab es keine Kinder. Wir sind in Richtung iranisch-türkische Grenze gelaufen.
Nach einem langen Weg durch die Berge, (ohne Verpflegung, steile Abhänge und Schluchten, große Höhenlagen) passierten wir die türkische Grenze. Morgens um 3 Uhr trafen wir den Schmuggler und fuhren wir mit einem LKW weiter. Nach einer langen Fahrt kamen wir nachts in einem türkischen Dorf an. Wir schliefen bis 11:00 Uhr morgens. Eine Person kam und fragte:
 “Wer ist Ajmal?” Ich sagte: “Ich bin Ajmal.” Dann gab er mir Tickets und wies mich an, zu einem Bus zu gehen, auf den er zeigte. Wir fuhren 24 Stunden. Der Bus hielt an.
Jemand kam zu mir und fragte, ob ich Ajmal sei. Danach nahm er mich ca. 30 Minuten mit einem Taxi mit. Wir kamen an einem vierstöckigen Gebäude an und gingen in den Keller. In dem Keller waren sehr viele Flüchtlinge. Und ich habe dort auch meinen Bruder getroffen. Dann schlief ich bis zum nächsten Morgen. Am Abend kam ein großer schlanker Mann in den Keller. Er sagte, wir sind 50 Personen. Wir hießen fortan alle “Sindani” und nicht mehr Ajmal.
Er wies uns an, wenn uns jemand nach “Sindani” fragt, mit dieser Person mitzugehen. Um 23 Uhr nachts wurden wir angewiesen, in einen Sprinter zu steigen. Es gab zwei Sprinter für alle 50 Menschen. Um 6 Uhr morgens stiegen wir in einem Wald aus. Drei Schmuggler stellten uns in einer langen Reihe auf. Unter uns waren 15 Frauen und Kinder. Ein/zwei Schmuggler stellten sich jeweils ans äußere Ende und einer genau in die Mitte. Die Schmuggler sagten, wir müssen alles akzeptieren, was sie sagen und gehorchen. Wenn einer dies nicht tut, wird er umgebracht und die Reise geht weiter. Dann liefen wir in der Reihe in Richtung Bulgarien. Während des Weges sahen wir viele tote Flüchtlinge und Leichen. Um 15 Uhr nachmittags erreichten wir die bulgarische Grenze.
Als wir anhielten, tranken wir Regenwasser aus einem Wasserloch. Es war komplett grün und schmutzig. Beim Trinken wurden wir von Hunden der bulgarischen Polizei umkreist. Dann wurden wir von der bulgarischen Polizei durchsucht. Alles was wir bei uns hatten, Geld, Handys, alles was Wert hatte wurde uns weggenommen. Und sie haben uns mit Stöcken geschlagen und mit Füßen getreten. Nach dem wir verprügelt wurden, wurden wir in einen Militärtruck verladen und wieder zurück in die Türkei deportiert. Wir sind nun zurück zu dem Keller, indem wir schon vorher waren. In der nächsten Nacht sind wir wieder losgegangen. Diesmal waren wir 25 Menschen. Nachdem selben Prozess sind wir diesmal über die Grenze gekommen. Diesmal war nur eine Familie aus dem Irak dabei. Ein Ehepaar und zwei Kinder. Die restlichen Flüchtlinge waren junge Männer. Wir kamen um 22 Uhr am Treffpunkt an. Es war im Wald in der Nähe einer Straße. Wir sollten auf einen LKW warten. Der LKW kam nach vier Tagen. Wir warteten ohne Wasser und ohne Essen. Am vierten Tag hatten wir angefangen Blätter der Bäume zu essen. Die beiden Kinder weinten und auch die Mutter fing an zu weinen. Als ich meinen Rucksack durchsuchte, fand ich ein kleines Stück Brot. Ich gab es der Frau mit den Kindern. Das war ein sehr wichtiger Moment für mich und für alle. Es war schrecklich, dies als Mensch zu erleben. Wir entschieden uns weiterzugehen, wir hatten Angst sonst zu sterben. Wir gingen nun zur Hauptstraße und liefen auf der Straße. Dort fand uns nach kurzer Zeit die Polizei. Sie durchsuchten uns. Unter ihnen war ein deutscher Polizist. Er war sehr nett. Er durchsuchte sein Auto und fand ein paar Kekse, die er den Kindern gab. Sie sahen in was für einem Zustand wir waren.
Wir wurden wieder in einen Militärtruck geladen und wieder in die Türkei deportiert.
Diesmal wurden wir nicht verprügelt. Wir waren nun wieder in dem gleichen Keller. Wir haben diese Reise viermal gemacht. Dreimal wurden wir wieder zurück in die Türkei gebracht. Beim vierten Versuch waren wir nur 20 junge Männer. Der LKW kam abends um 23 Uhr. Wir fuhren bis 6 Uhr morgens und kamen wieder in dem Wald an. Wir liefen wieder gemeinsam durch den Wald und kamen zum Treffpunkt hinter der bulgarischen Grenze, abends um ca. 22-23 Uhr. Und dieses Mal war ein LKW dort. Wir stiegen in den LKW und dieser fuhr bis zum nächsten Morgen. Wir stiegen aus und kamen an einem großen Lager an. Es gehörte zu einem Flughafen. Hier haben wir uns bis 16 Uhr ausgeruht. Um 16 Uhr kam ein Polizeiwagen. Wir waren alle schockiert. Denn wir dachten, nun ist alles verloren und sie bringen uns ins Gefängnis. Dann fragten sie: “Wer ist Sindani”. Dann wurden immer fünf Personen in einen Polizeiwagen geladen. Nach 30-40min Fahrt kamen wir in Sofia an und gingen in eine Wohnung. In der Wohnung waren 30-40 Personen versammelt. In dieser Wohnung blieben wir drei Tage. In den 48 Stunden hatte jeder nur einen kleinen Hamburger bekommen. In der Nacht des dritten Tages sind wir in Richtung Serbien aufgebrochen. Dieses Mal waren alle Autos kleine Taxis. Wir kamen zu dem nächsten Treffpunkt vor der serbischen Grenze um 20-21 Uhr. Dort warteten wir bis alle mit den Taxis angekommen waren. Um ca. 23 Uhr abends gingen wir mit ca. 45 Menschen über die Grenze. Um ca. 7 Uhr morgens kamen wir in Serbien nach einem langen Marsch durch Wald und Berge an einer großen Hauptstraße an. Wir warteten dort auf den Schmuggler und nach ca. 10 min kam die Polizei. Sie nahmen uns alle auf die Polizeiwache. Dort blieben wir bis 22 Uhr ohne Essen oder Trinken in großer Kälte. Wir konnten den Schmuggler erreichen und einige Stunden später kam ein Bus, der uns nach Belgrad brachte. Wir wachten um 9 Uhr auf und befanden uns in einem Park. Ein Mann kam und gab jedem von uns einen Burger.

 

Wieder fuhren wir los und kamen 4 Stunden später in einem Waldgebiet an, wo wir drei Nächte im Freien mit ca. 800 Menschen verbrachten. Nur einmal kam ein Auto der UN und gab jedem ein Brot mit zwei gekochten Eiern. Wir hatten keine Toilette, kein Wasser, keine Decken. Ich war sehr hungrig und alle froren nachts. Am vierten Tag nachts wurde ich mit 29 anderen Personen von fünf Schmugglern aus dem Punjab, Pakistan, durch den Wald in Richtung Ungarn geleitet. Nach langem Laufen erreichten wir am frühen Morgen die Grenze zu Ungarn. Wir bildeten eine lange Schlange und die Schmuggler schnitten den Maschendrahtzaun ein, sodass alle nacheinander durchklettern konnten.
Gegen 8 Uhr morgens kamen wir wieder in einem Waldgebiet mit 120 wartenden Personen an. Es regnete stark und es war sehr kalt. Ich fand ein Stück Plastikfolie, aus der ich mir ein kleines Dach baute, unter das ich mich setzte. Mir gegenüber saß eine Frau die weinte. Ich fragte, warum sie weinte und sie antwortete: „Ich weine nicht um mich, sondern um mein ungeborenes Kind.“ Ich stand auf und bot ihr meinen trockenen Platz an. Zwei Tage später kam ein Schmuggler der unsere Gruppe von mittlerweile 45 Personen aufreihte und uns befahl, alles zurück zu lassen bis auf die Kleider, die wir trugen. Zwei aus der Gruppe wollten dies nicht akzeptieren und wurden daraufhin verprügelt. Die Schmuggler sagten uns, wir könnten ihre Regeln entweder akzeptieren oder auf der Stelle sterben. Also begannen wir wieder zu laufen, bis wir an eine Autobahn kamen. Fünf Minuten später hielt ein Transporter und wir mussten uns alle in den Wagen begeben. Wir standen dicht an dicht und das Auto fuhr los. Der Sauerstoff war so knapp, dass fünf von uns ohnmächtig wurden. Wir schlugen gegen die Fahrerkabine, um auf uns aufmerksam zu machen. Der Fahrer hielt an und zerrte die fünf Menschen aus dem Wagen und ließ sie auf der Straßenseite liegen. Wir fuhren weiter.
Nach einer sehr langen Fahrt hielt der Transporter wieder und der Fahrer befahl uns auszusteigen. Wir befanden uns irgendwo zwischen Obstwiesen und Traubenreben. 10 Minuten später kam ein schwarzer Mercedes. Wir wurden von dessen Fahrer gezählt und er wies uns an, immer dem Weg geradeaus zu folgen und verschwand. Nach zwei Stunden Fußweg erreichten wir ein Dorf. Währenddessen hatte sich die Gruppe in alle Richtungen verteilt und ich war nur noch mit meinem Bruder und Cousin unterwegs. Wir trafen auf einen alten Mann, den wir nach der Bushaltestelle fragten. Er sagte auf Englisch wir sollen ihm folgen. Wir gingen in ein Café und er sagte dem Inhaber: „Was auch immer diese 3 Männer essen wollen, werde ich bezahlen“. Zum ersten Mal hatte ich Hoffnung auf einen guten Ausgang meiner Flucht.
Anschließend fragte uns der Mann, wo wir hin wollen und wir antworteten, dass wir nach Deutschland möchten, aber nicht wissen, wo wir uns gerade befanden. Er erklärte uns, wir seien in Österreich und ich bat ihn, sein Mobiltelefon nutzen zu dürfen, um nach Afghanistan zu telefonieren. Dies sei teuer, aber der Mann lächelte und erlaubte es mir. Ich erreichte meinen Schmuggler, der mich ein paar Minuten später zurück rief und mir eine weitere Telefonnummer in Österreich gab.
Der alte Mann rief diese Nummer für uns an und kurz darauf führte er uns zu einem Taxi. Wir fuhren los und nach 30 Minuten erreichten wir einen Bahnhof. Nach 10 Minuten erschien ein großer Mann mit Brille, zahlte das Taxi und gab jedem von uns einen Fahrschein und 20 Euro. Er erklärte uns, wir seien in Wien und unser Zug fahre um 23 Uhr nach Deutschland. Wir könnten uns von dem Geld nun etwas zu essen kaufen. Völlig ermüdet nahmen wir den Zug und erwachten am nächsten Morgen um 11 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof. Ich sprach zwei Polizisten an, die sehr freundlich reagierten und uns die Fahrkarten nach Hamburg Harburg kauften. Sie geleiteten uns zum Bahnsteig. In Harburg angekommen, registrierten wir uns als Flüchtlinge.
Endlich angekommen, war ich so erleichtert und fühlte mich seit langem wieder sicher."

 

 

 

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